Heut ist Freitag, ein typischer Tag im Herbst. Der
Boden ist von Laub bedeckt, von gelben und rotbraunen Farben. Die Straßen sind
belebt. Menschen gehen umher und der Verkehr ist laut. Wolken trüben den Himmel
grau und es riecht nach Regen. Laut kichernd springen Kinder in einem Park von
Pfütze zu Pfütze und ihre bunten Jacken, ihre Gummistiefel und Mützen, ja, die ganze
Welt wirkt grau durchtränkt, entsättigt, trist. Unweit von ihnen sitzt ein Mann
auf einer Bank aus verwittertem Beton, die, eingerahmt von Rosensträuchern und
mit Graffitis beschmiert, eine eigene Geschichte erzählt. Neben diesem Mann
liegt ein Strauß von roten Gerbera und ein Regenschirm in schwarz. Er scheint
ein ganz normaler Typ zu sein, sofern es überhaupt normale Typen gibt. Seine
Statur ist sportlich. Sein Haar ist dunkel und gerade so lang, dass es seine
Ohren verdeckt, die er nicht mag. Er trägt einen anthrazitfarbenen Anzug mit
offenem Jackett und darunter ein perlweißes Hemd. Auf eine Krawatte hat er
verzichtet. Sie wäre zu viel. Während er sich mit seinen Ellenbogen auf seinen
Beinen abstützt und sein Gesicht mit seinen Händen hält, ist sein Blick
träumend und auch traurig zum Boden gerichtet. Er ist selten so zu sehen. Meist
sind es einzig seine Augen, die die Geschichte erzählen, die seine fröhliche Miene
und sein Lächeln zu verbergen versuchen.
Er
hat heute Abend um 20 Uhr ein Date im Irish Pub „Tin Whistle" gegenüber
des Parks in Sichtweite. Eigentlich mag er diesen Laden, auch wenn er dreckig
und runtergekommen ist, doch mit seinem Date wollte er ihn nicht verbinden. Er
ist einfach zu nah an seiner Welt, fast ein Teil davon, aber eine Wahl hat er
nicht. Nicht mehr.
"Regel 1: Egal wie sehr es dich stören mag, beim ersten Date hat die
Dame stets und sofern sie möchte die freie Wahl der Location! Du fügst dich
also voller Vorfreude, egal wohin sie will."
Also stimmte auch er ihrem Wunsch, ins Tin Whistles zu
gehen, mit seinem konstant gleichen und dennoch charmanten Lächeln zu.
Die
Zeit vergeht. Es wird langsam dunkel und von den Kindern ist keines mehr zu
sehen. Es hat leicht zu regnen angefangen und die Scheinwerfer der
vorbeifahrenden Autos lassen blasse Schatten über die Fassaden der Häuser
wandern. Ein mäßiger Wind ist aufgekommen und versucht den Mann und seinen nun
geöffneten Schirm davon zu ziehen, weg von diesem Park und weg von seinem Date.
Aber er bleibt sitzen und wartet gleich einem Huhn vor dem Schlachten. Als
würde auch er in dieses wundervolle, beruhigend blaue Licht sehen, bevor er
Meter für Meter seinem Ende näher kommt. Seine Augen glänzen und sein "blaues
Licht" sind die Blätter vor ihm, die sich im Wind bewegen. "Ob auch
sie die Blätter tanzen sieht?", fragt er sich. Eine Antwort steht aus und
kaum hat er darüber nachgedacht, sieht er, wie sich sein Date, Isabelle, unruhig
umherschauend dem Pub nähert. Ihr langes, braun gelocktes Haar ist klamm vom
Regen und ihr kaminroter Wollmantel von Wasserflecken übersät, die sich in langen,
dunklen Schlieren über ihren schmalen Körper nach unten ziehen. Der Mann zögert
nicht lang, nimmt den Blumenstrauß und steht auf, um zu ihr zu eilen. Sein Herz
rast vor Aufregung. Was ungewöhnlich für ihn ist. Er war bei seinen Dates lang
nicht mehr aufgeregt. Normal ist er routiniert, fast gelangweilt und sein
Lächeln fest ins Spiel verankert. Doch dieses Mal lächelt er nur verhalten aber
ehrlich und aus seinem tiefsten Inneren heraus. Ein Kloß im Hals erschwert dabei
seine Atmung. "Wie sie wohl ist?" fragt er sich und kaum ist er ihr
nah, drosselt er sein Tempo, stellt das Lächeln zurück auf Routine und sagt im
ruhigen und warmen Ton: "Hallo Isabelle, schön dass du hier bist" und
gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Sichtlich darüber erstaunt, erwidert sie
stockend seine Begrüßung mit "…eben…so", woraufhin er ihr die Gerbera
mit den Worten: "Die hier sind für dich. Ich hoffe du magst sie"
überreicht. Über die Blumen erfreut, geht Isabelle nah an ihn heran, sodass
auch er etwas Schutz von seinem Schirm abbekommt, den er bei der Begrüßung zuvorkommend
von sich weg und über Isabelle platzierte. Die letzten Meter zum Pub werden nur
durch die klackenden Geräusche von Isabells Hacken, die auf den Gehweg knallen,
und dem leise tropfenden Regen begleitet. Wenig später stehen beide auch schon
vor dem Pub und der Mann öffnet die massive, rot lasierte Eichentür mit ihren
rostigen Beschlägen und lässt Isabelle eintreten.
Der
Laden wirkt noch dreckiger, als er ihn in Erinnerung hat. Der Boden klebt und
bei jedem Schritt fühlt es sich so an, als würde man an ihm haften und Fäden
von ihm ziehen. Rauch erdrückt den Raum und verleiht den Wänden mit ihren
unzähligen Bildern vergangener Sportikonen und Böden alter Guinnesfässer einen
Charme, wie ihn sonst nur Hollywood produziert. Doch in Hollywoodfilmen befinden
sich zumeist haufenweise grimmig dreinschauende Männer in einem Pub, die
Billard oder Dart spielen und einen Anzugträger mit hübscher Begleitung zumindest
angsteinflößend mustern würden. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Tin
Whistle ist eher ein Treffpunkt für Studenten und Paare, die selbst nicht
angestarrt werden wollen. Hier kümmert es niemanden, wer du bist, wie du
aussiehst und was du machst.Kaum
haben Isabelle und der Mann den Laden betreten, nimmt er ihr den Mantel ab und
gibt ihr ein sauberes, grau-schwarz gestreiftes Stofftaschentuch aus der linken
Innentasche seines Jacketts, damit sie sich ihr feuchtes Gesicht abtrocknen
kann. Ihr dezent aufgelegtes Makeup ist nur leicht verwischt und gerade als
Isabelle sich abtupft, sieht er ihre blau-grünen Augen, die ähnlich wie die
seinen, entgegen ihrem Lächeln, traurig glänzen. Sein Herz beginnt erneut zu rasen. Und als er ihren roten,
vollen Mund hinter dem Stofftuch erblickt, ist auch seine Atmung wieder gehemmt.
Isabelle scheint etwas Besonderes für ihn zu sein und es ist unschwer zu
erkennen, dass dies dem Mann unangenehm ist. So atmet er zweimal tief durch, lässt
sein trainiertes Lächeln erneut erblühen und führt sie an das Ende des linken
Flügels im Pub. Dort stehen schon eine mit Wasser gefüllte und ansonsten leere
Vase, ein Schild mit der Aufschrift reserviert,
zwei Weingläser und eine mit Bordeaux gefüllte Karaffe mit ausladendem Boden auf
einem runden, angesengten Naturholztisch bereit. "Der Tisch ist nicht mehr
der neueste" sagte der Mann und Isabelle erwidert: "aber Charme ist
doch keine Frage des Zustands" und lächelt ihn breitgrinsend an. Sie
rechnete nicht mit der Aufmerksamkeit und Vorbereitung, mit der er ihr bisher
bei diesem ersten Date begegnete. Beide setzen sich und der Abend beginnt.